Auflösung des Gemeinderats (§ 93)
Die Auflösung des Gemeinderats als Mittel der Gemeindeaufsicht ist der schwerwiegendste Eingriff in die Gemeindeautonomie; sie ist nur dann zulässig, wenn andere Aufsichtsmittel erfolglos ausgeschöpft worden sind. Hiebei ist vorgesehen, dass hinsichtlich bestimmter Auflösungsgründe erst ein auszuübendes Ermessen der Maßnahme der Aufsichtsbehörde voranzugehen hat, während bei Unterschreiten einer bestimmten Mandatszahl die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Gemeinderates angenommen wird und die Auflösung des Gemeinderates absolut verpflichtend ist.


Auflösungsgründe
Der Gemeinderat kann aufgelöst werden, wenn

  • der Gemeinderat andauernd arbeits- oder beschlussunfähig ist oder
  • aus sonstigen Gründen eine geordnete Führung der Geschäfte der Gemeinde nicht mehr gewährleistet ist, oder
  • die gesetzlich obliegenden Aufgaben in angemessener Frist nicht erfüllt werden.

Diese Auflösungsgründe sind zwar dem Ermessen der Landesregierung anheimgestellt („kann“), doch ist zu bedenken, dass dieses Ermessen unter Bedachtnahme auf die Eigenverantwortlichkeit und das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde auszuüben ist, gleichzeitig aber auch die Ziele der Staatsaufsicht - nämlich die Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Gemeindeverwaltung und ihrer Aufgabenerfüllung - zu verwirklichen sind. Diese Interessensabwägung unterliegt der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts.


Unter dem Begriff "andauernd" ist eine nicht nur zeitweilige Funktionsuntüchtigkeit des Gemeinderates zu verstehen, die den Schluß zulässt, dass diese auch in weiterer Folge zu erwarten ist.


"Arbeitsunfähigkeit" liegt vor, wenn der Gemeinderat - trotz seiner Beschlussfähigkeit - infolge geflissentlich mißbräuchlicher Anwendung von verfahrens- oder organisationsrechtlichen Bestimmungen keine Beschlüsse zu fassen in der Lage ist ("Obstruktion" durch Mitglieder des Gemeinderates).


"Beschlußunfähigkeit" liegt dann vor, wenn die gesetzmäßig geforderten Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Beschlußfassung nicht gegeben sind, nämlich: ordnungsgemäße Einladung sämtlicher Mitglieder des Gemeinderates und Anwesenheit von mindestens zwei Drittel der Mitglieder des Gemeinderates bei der Beschlußfassung bzw. Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Gemeinderates (in den Fällen, in denen der ordnungsgemäß einberufene Gemeinderat nicht beschlussfähig war und unter Berufung hierauf für die gleichen Verhandlungsgegenstände eine neue Sitzung einberufen worden war [§ 41 Abs. 2]).
Bei andauernder Beschlußunfähigkeit des Gemeinderates wird das Ermessen der Aufsichtsbehörde in dem Sinne wahrzunehmen sein, dass im Interesse der Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Gemeinde der funktionsuntüchtige Gemeinderat aufzulösen ist, wenngleich eine Selbstauflösung des Gemeinderates - bei Vorliegen einer ausschließlich auf die Auflösung gerichteten singulären Beschlußfähigkeit - nicht ausgeschlossen ist.


Aus der Wendung „wenn . . . . eine geordnete Führung der Geschäfte der Gemeinde nicht mehr gewährleistet ist“ kann der Schluss gezogen werden, dass sowohl aus gehäuften Fällen der Gesetzesverletzungen als auch aus anderen Umständen (schwere Mängel in der Vollziehung) für die Aufsichtsbehörde den Anlass zu einem rigorosen Eingriff in die Gemeindeautonomie besteht. Wenn nun der Gemeinderat seiner Aufgabe, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für die ordnungsgemäße Führung der Verwaltung zu sorgen, nicht nachkommt, dann kann das Aufsichtsziel nur durch dessen Auflösung erreicht werden.


Die Wendung „oder die gesetzlich obliegenden Aufgaben in angemessener Frist nicht erfüllt werden“ zielt offenkundig auf gehäufte Fälle nicht oder nicht „in angemessener Frist“ erfüllter Aufgaben ab, die dem Gemeinderat anzulasten ist, dessen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit missachtende Vorgangsweise die Aufsichtsbehörde veranlassen kann, zum rigidesten Aufsichtsmittel zu greifen, weil nur auf diese Weise das Aufsichtsziel - nämlich die Gesetzmäßigkeit der Gemeindeverwaltung sicherzustellen - erreicht werden kann.


Die Aufsichtsbehörde zur Handlung verpflichtende Auflösungsgründe
Die Landesregierung hat den Gemeinderat aufzulösen, wenn durch den Verzicht auf Mandate, allenfalls in Verbindung mit dem Enden von Mandaten aus anderen Gründen, die nicht mit Ersatzmitgliedern besetzt werden, die Zahl der verbleibenden Mitglieder des Gemeinderats unter die Hälfte der sich aus § 15 Abs. 1 ergebenden Zahl sinkt.

Der repräsentative Charakter des Gemeinderates ist durch die Nichtbesetzung von Mandaten verfälscht, sodass dieser nicht mehr als „allgemeiner Vertretungskörper“ anzusehen ist.


Als Beispiel für das "Enden von Mandaten aus anderen Gründen" sei das Ableben eines Mitgliedes des Gemeinderates oder der mit Bescheid der Landesregierung ausgesprochene Mandatsverlust angeführt.


Behördenzuständigkeit
In den vom Land übertragenen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches ist die Landesregierung Aufsichtsbehörde, in Angelegenheiten des vom Bund übertragenen eigenen Wirkungsbereiches der Landeshauptmann. Dieser kann die Auflösung des Gemeinderates verfügen, wenn in einer Gemeinde aus Gründen, die sie selbst zu vertreten hat, die ordnungsgemäße Besorgung ihrer Aufgaben nicht gewährleistet ist und durch andere gegen sie ergriffene Aufsichtsmaßnahmen Abhilfe nicht geschaffen werden konnte; diesfalls ist ein Regierungskommissär zur Fortführung der Aufgaben der Gemeinde zu bestellen. Im Hinblick auf diesen schwerwiegenden Eingriff in die Gemeindeautonomie ist eine Berufung an den Bundesminister für Inneres zulässig. Dagegen ist die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof zulässig.


Das Verfahren zur Auflösung des Gemeinderats
Die Auflösung des Gemeinderates ist mittels Bescheides der Landesregierung auszusprechen. Der Bescheid ist an den Bürgermeister als den Vertreter der Gemeinde zuzustellen. Mit dem Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides erlöschen - falls einer Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wird - - alle Mandate.
Gegen den Auflösungsbescheid kann sowohl der Gemeinderat als Kollegialorgan als auch jeder einzelne Gemeinderat Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und beim Verwaltungsgerichtshof erheben. Trotz der erfolgten Auflösung des Gemeinderates wird ihm hinsichtlich seiner Beschwerdeführung eine beschränkte Handlungsfähigkeit zuerkannt.
Selbst wenn durch einen aufsichtsbehördlichen Akt die Funktion des Gemeinderates und der Mitglieder des Gemeinderates einschließlich des Bürgermeisters beendet worden ist, steht dem (enthobenen) Bürgermeister zur Erhebung einer Beschwerde gegen dieses gravierendste aller Aufsichtsmittel eine auf diese Beschwerde eingeschränkte Vertretungsbefugnis für die Gemeinde entsprechend der Zusammensetzung des Gemeinderates im Zeitpunkt seiner Auflösung zu. Andernfalls stünde der Gemeinde, der im aufsichtsbehördlichen Verfahren ohne Einschränkung ausdrücklich Parteistellung eingeräumt wird, gegen das tiefgreifendste Aufsichtsmittel kein Rechtsmittel zu.

Neben dem Anfechtungsrecht des Gemeinderats als Kollegium steht auch den einzelnen Mitglieder einer aufgelösten Gemeindevertretung das Recht zu, den Auflösungsakt zu bekämpfen. Das passive Wahlrecht erschöpft sich nicht in dem Rechte, gewählt zu werden, sondern schließt auch das Recht in sich, gewählt zu bleiben. Maßnahmen, welche sich gegen die Ausübung eines durch Wahl empfangenen Mandates kehren, berühren die individuelle Rechtssphäre des Mandatars, denn die Auflösung des Gemeinderates setzt auch dem Wirken des einzelnen Gemeinderatsmitgliedes ein Ende. Es ist daher die Legitimation des einzelnen Mandatars zur Bekämpfung des Auflösungsbescheides gegeben.
Sie hat auch zur Folge, dass - bei erfolgreicher Beschwerdeführung - der durch die Auflösung bewirkte Mandatsverlust auch die nicht beschwerdeführenden Gemeinderatsmitglieder betrifft. Der Auflösungsbescheid ist nämlich eine Einheit und muss daher schon über die erfolgreiche Beschwerde eines einzelnen Betroffenen zur Gänze aufgehoben werden.


Selbstauflösung des Gemeinderats
Der Gemeinderat kann auch selbst vor Ablauf der Funktionsperiode seine Auflösung beschließen. Dieser Beschluss bedarf der Zweidrittelmehrheit.


Die "Zweidrittelmehrheit" ergibt sich u.a. aus folgenden Erwägungen:
Ein von der Gesamtheit der Wahlberechtigten der Gemeinde gewählter Bürgermeister kann nur durch eine Volksabstimmung abgesetzt werden; diese kann nur dann durchgeführt werden, wenn dies der Gemeinderat auf Grund eines mit Zweidrittelmehrheit gefaßten Beschlusses verlangt. Da nun mit der Auflösung des Gemeinderates auch der Verlust des Amtes des Bürgermeisters verbunden ist, musste konsequenterweise auch der Auflösungsbeschluß des Gemeinderates an eine Zweidrittelmehrheit gebunden werden. Auf Grund dieser Tatsache ergibt sich auch die stärker verankerte politische Position des "vom Volk" gewählten Bürgermeisters, da - demgegenüber - der vom Gemeinderat gewählte Bürgermeister mittels einfachen Beschlusses - wenn auch auf Grund eines von mindestens einem Viertel der Gemeinderatsmitglieder gestellten Antrages - abgesetzt werden kann.


Die Folgen der Auflösung des Gemeinderats
Mit der Auflösung des Gemeinderats sind folgende Auswirkungen verbunden:

  • es erlöschen alle Mandate,
  • es verlieren ihr Amt
    • die Mitglieder des Gemeindevorstands (mit Ausnahme des Bürgermeisters),
    • die Mitglieder der Ausschüsse,
    • der Ortsvorsteher,
    • die Mitglieder des Ortsausschusses.
Der Begriff „Mandate“ bezieht sich auf die Mitglieder des Gemeinderates, während der Begriff "Amt" gewöhnlich für die Funktion des Bürgermeisters und die Mitglieder des Gemeindevorstandes verwendet wird.

Bürgermeister bleibt im Amt
Der im Zeitpunkt der Auflösung im Amt befindliche Bürgermeister bleibt bis zur Angelobung des neu gewählten Bürgermeisters im Amt.
Alle anderen Ämter - die weiteren Mitglieder des Gemeindevorstandes, die Mitglieder der Ausschüsse, der Ortsvorsteher, die Mitglieder des Ortsausschusses und der Umweltgemeinderat - erlöschen; dies hat zur Folge, dass deren Funktionen nunmehr vom Bürgermeister wahrzunehmen sind; allerdings hat er sich hiebei auf die laufenden oder unaufschiebbaren Angelegenheiten zu beschränken. Diese Beschränkung gilt nicht für jene Aufgaben, die ihm eigenständig als Aufgaben im eigenen Wirkungsbereich (§ 25) zustehen.

Für den Fall der Verhinderung des Bürgermeisters vertritt ihn ein vom Beirat aus der Mitte seiner Mitglieder gewählter Stellvertreter.


      Unter "laufenden Angelegenheiten" (i.S. von „laufenden Geschäften“) sind jene Geschäfte zu verstehen, die regelmäßig wiederkehrende Angelegenheiten ohne weittragende finanzielle, wirtschaftliche, politische oder ähnliche Bedeutung zum Gegenstand haben, die somit den gewöhnlichen Tätigkeitsbereich der Gemeindeverwaltung ausmachen.

      Von "unaufschiebbaren Angelegenheiten" (i.S. von „unaufschiebbaren Geschäften“) kann dann gesprochen werden, wenn ein Untätigbleiben einen Schaden für die Gemeinde bedeuten oder gegen gesetzliche Pflichten verstoßen würde.

      Sinn und Zweck dieser Kompetenzbeschränkungen sind darin zu erblicken, dass möglichst wenig in die Geschäftsführung der Gemeinde eingegriffen werden soll, um die Entscheidungen der künftigen Gemeindeorgane nicht zu präjudizieren.


      Bürgermeister behält seine "originären" Zuständigkeiten
      Der Hinweis auf § 25 bringt zum Ausdruck, dass die Beschränkung auf die laufenden oder unaufschiebbaren Angelegenheiten nicht hinsichtlich jener Aufgaben gilt, die ihm gemäß dieser Bestimmung übertragen sind; hier ändert sich an seiner originären Zuständigkeit nichts. Erlässt der Bürgermeister - gestützt auf seine durch die Auflösung des Gemeinderates unberührt gebliebene Zuständigkeit gem. § 25 - einen Bescheid, so ist dagegen in Ermangelung einer im Instanzenzug übergeordneten Behörde (Gemeinderat) die Vorstellung an die Aufsichtsbehörde zulässig. Ist jedoch zwischen Bescheiderlassung und Ende der Berufungsfrist der neu gewählte Gemeinderat bereits konstituiert, dann ist - da die Selbstverwaltung der Gemeinde wieder hergestellt ist - der Gemeinderat zur Entscheidung über eine Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters zuständig.


      Beirat für den Bürgermeister
      Zur Beratung steht dem Bürgermeister ein Beirat zur Seite. Er besteht aus den von den im Gemeindevorstand vertreten gewesenen Parteien nominierten Mitgliedern, und zwar in jener Anzahl, als ihnen vor der Auflösung des Gemeinderats Gemeindevorstandsstellen zugekommen sind (hiebei ist der Bürgermeister nicht einzurechnen).
      Die im Gemeindevorstand vertreten gewesenen Parteien können als Mitglied des Beirates jede Person dem Bürgermeister namhaft machen, die zum Gemeinderat wählbar ist.

      Der Beirat hat keine Funktion in jenen Angelegenheiten - und braucht diesfalls auch nicht gehört zu werden - die gem. § 25 in den Aufgabenbereich des Bürgermeisters fallen, da diese Kompetenzen durch die Auflösung des Gemeinderates unberührt bleiben. In allen anderen Angelegenheiten aber, die eines Beschlusses des Gemeinderates oder des Gemeindevorstandes bedürfen, kommt dem Beirat ein Anhörungsrecht zu.


      Regierungskommissär nur bei Verzicht des Bürgermeisters auf sein Amt
      Verzichtet der Bürgermeister auf sein Amt, hat die Landesregierung zur Fortführung der Verwaltung der Gemeinde bis zur Angelobung des neu gewählten Bürgermeisters einen Regierungskommissär einzusetzen.

      Der Regierungskommissär vereinigt in sich die sonst den einzelnen Gemeindeorganen zustehenden Kompetenzen, und zwar sowohl im Bereich der Hoheitsverwaltung als auch in jenem der Privatwirtschaftsverwaltung. Der Regierungskommissär hat sich allerdings auf die laufenden und unaufschiebbaren Angelegenheiten zu beschränken. Er unterliegt der Kontrolle und dem Weisungsrecht der Landesregierung.

      Gegen Bescheide des Regierungskommissärs im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde ist ein Rechtsmittel auf Gemeindeebene nicht zulässig, und zwar auch dann nicht, wenn seine Funktion zwischen Bescheiderlassung und Ablauf der Berufungsfrist endet. Es kann vielmehr nur die Vorstellung an die Aufsichtsbehörde erhoben werden.


      Beirat für den Regierungskommissär
      Zur Beratung des Regierungskommissärs ist von der Landesregierung ein Beirat zu bestellen. Der Beirat besteht aus fünf Mitgliedern und ist in allen wichtigen Fragen zu hören. Bei der Bestellung des Beirats ist die Stärke der Parteien zu berücksichtigen.

      Zum Mitglied des Beirates kann nur eine Person bestellt werden, die zum Gemeinderat wählbar ist.

      Die mit der Tätigkeit des Regierungskommissärs verbundenen Kosten bestimmt die Aufsichtsbehörde; sie belasten die Gemeinde.


      Neuwahl des Gemeinderats
      Nach der Auflösung ist innerhalb von sechs Monaten die Neuwahl des Gemeinderats und des Bürgermeisters von der Landesregierung auszuschreiben. Die Bestimmungen über die Einberufung zur konstituierenden Sitzung und die Vorsitzführung bei dieser Sitzung enthält die Gemeindewahlordnung.